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Direktionsrecht - Geringer vergüteter Arbeitsplatz - Tarifauslegung

Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 11. August 2000 - 11 (9) Sa 245/00 - aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit der Umsetzung des Klägers auf einen anderen Arbeitsplatz.
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Der Kläger ist seit 1991 bei dem beklagten Bundesverband der Innungskrankenkassen als Angestellter beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag finden auf das Arbeitsverhältnis die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags/Innungs-krankenkassen (BAT/IKK) und die diesen ergänzenden und/oder ändernden Tarifverträge Anwendung, darunter der Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Angestellte der Innungskrankenkassen und ihrer Verbände vom 9. Januar 1987 (RatSch-TV/IKK). Der Kläger war Sachbearbeiter in der Qualitätssicherung. Seine Tätigkeit war der VergGr. 10 zugeordnet. Der Beklagte entschloß sich, die Qualitätssicherung aufzulösen. Mit Schreiben vom 20. April 1998 teilte er dem Kläger mit, daß ihm mit sofortiger Wirkung der Arbeitsplatz eines Datenarchivverwalters angeboten werde, der ihm nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten zuzumuten sei, und den er deshalb nach § 3 Abs. 6 RatSch-TV/IKK annehmen müsse, obwohl diese Tätigkeit nur der niedrigeren VergGr. 7/8 zugeordnet sei.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte sei verpflichtet, ihn zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. Der Beklagte könne ihm nicht einseitig eine niedriger vergütete Tätigkeit zuweisen. Auch der RatSch-TV/IKK berechtige den Beklagten dazu nicht.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, ihn zu unveränderten Arbeitsbedingungen vertragsgemäß mit Aufgaben der VergGr. 10 BAT/IKK weiterzubeschäftigen.
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Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der RatSch-TV/IKK erlaube die Zuweisung eines geringer bewerteten Arbeitsplatzes im Wege des Direktionsrechts. Dies ergebe sich aus § 6 Abs. 8 RatSch-TV/IKK.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung.
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I. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung als zulässig angesehen, obwohl sie nicht innerhalb eines Monats (§ 66 Abs. 1 ArbGG, § 516 ZPO) nach der am 6. August 1999 erfolgten erstmaligen Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils, sondern erst am 14. Februar 2000, damit jedoch innerhalb eines Monats nach einer erneuten Zustellung der inzwischen durch Beschluß vom 15. Dezember 1999 berichtigten Fassung des arbeitsgerichtlichen Urteils, beim Berufungsgericht eingegangen ist. In der Sache hat es angenommen, der Beklagte müsse den Kläger mit Aufgaben der VergGr. 10 BAT/IKK weiterbeschäftigen, weil die Umsetzung unwirksam sei. Diese werde von dem Direktionsrecht des Beklagten, das durch den RatSch-TV/IKK nicht erweitert worden sei, nicht umfaßt. Etwas anderes folge auch nicht aus § 6 Abs. 8 RatSch-TV/IKK, wonach die Vorschriften über die Änderungskündigung keine Anwendung finden. Die Tarifbestimmung wolle den Kündigungsschutz nicht zugunsten einseitiger Versetzungsmaßnahmen beschränken.
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II. Dem kann nicht gefolgt werden. Die auf Weiterbeschäftigung zu den alten Bedingungen gerichtete Klage ist im Gegensatz zur Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht schon deshalb begründet, weil der Kläger den Arbeitsplatz mit der niedrigeren Vergütung nicht angenommen hat. Die abschließende Beurteilung des Klageanspruchs erfordert weitere tatsächliche Feststellungen durch das Berufungsgericht.
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1. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Berufung als zulässig angesehen. Das Arbeitsgericht hatte das klageabweisende Urteil vom 12. März 1999 fälschlicherweise mit einem dem Klageantrag stattgebenden Tenor versehen. Für den Kläger bestand kein Anlaß, im Rechtsmittelweg gegen diesen Urteilsspruch vorzugehen. Erst der formell rechtskräftig gewordene Berichtigungsbeschluß vom 15. Dezember 1999 lautete auf Klageabweisung und beschwerte den Kläger erstmals. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß in einem solchen Fall die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung des Berichtigungsbeschlusses beginnt.
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2. In der Sache ist dem Berufungsgericht allerdings nicht zu folgen. Das Direktionsrecht oder Weisungsrecht erlaubt es dem Arbeitgeber, die Einzelheiten der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistung einseitig zu bestimmen, soweit diese im Vertrag nicht anderweitig geregelt sind. Der Umfang des Direktionsrechts bestimmt sich vor allem nach dem Inhalt des Arbeitsvertrags. Es kann einzelvertraglich oder auch durch tarifliche Regelung innerhalb bestimmter Grenzen erweitert werden, soweit nicht zwingendes Recht entgegensteht (BAG 24. April 1996 - 4 AZR 976/94 - AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 49).
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a) Der RatSch-TV/IKK hat die Grenzen des Weisungsrechts des Beklagten, wie sie sich aus dem Arbeitsvertrag ergeben, nicht dahingehend erweitert, daß die einseitige Zuweisung eines Arbeitsplatzes mit einer geringeren Vergütung zulässig wäre. Insoweit ist dem Berufungsgericht zu folgen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat der Beklagte jedoch, falls der von ihm behauptete Sachverhalt hinsichtlich der Rationalisierungsmaßnahme und ihrer Folgen zutrifft, gegen den Kläger nach § 3 Abs. 6 RatSch-TV/IKK einen Anspruch auf Annahme des neuen Arbeitsplatzes. Einer "Annahme" durch den Kläger im Sinne einer Zustimmungserklärung, wie das Berufungsgericht meint, bedurfte es nicht.
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b) Nach § 3 RatSch-TV/IKK ist der Arbeitgeber dem von einer Rationalisierungsmaßnahme betroffenen Angestellten zur Arbeitsplatzsicherung verpflichtet. Dies hat nach Absatz 2 dieser Bestimmung grundsätzlich auf einen mindestens gleichwertigen Arbeitsplatz zu geschehen. Steht ein solcher nicht zur Verfügung, ist dem Angestellten ein anderer Arbeitsplatz anzubieten (§ 3 Abs. 3 RatSch-TV/IKK). Nach dem Tarifwortlaut erlauben diese Bestimmungen dem Arbeitgeber nicht, dem Angestellten einen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz einseitig zuzuweisen. Dies ergibt sich entgegen der von dem Beklagten vertretenen Ansicht insbesondere nicht aus § 6 Abs. 8 RatSch-TV/IKK. Diese Tarifvorschrift betrifft nur die in § 6 RatSch-TV/IKK allein geregelte Vergütungssicherung und schließt insoweit die Vorschriften über die Änderungskündigung aus. Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, bezieht sich diese Vorschrift nur auf die vergütungsrechtlichen Folgen eines im Wege der Arbeitsplatzsicherung erfolgten Arbeitsplatzwechsels, der zu einer Minderung der Vergütung iSd. § 6 Abs. 1 RatSch-TV/IKK geführt hat. Sie erwähnt aber nicht die arbeitsvertraglichen oder normativ geregelten Befugnisse des Arbeitgebers in Bezug auf die Herbeiführung eines Arbeitsplatzwechsels.
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c) Der Beklagte hat aber bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen gegen den Kläger einen Anspruch darauf, daß dieser den ihm angebotenen Arbeitsplatz annimmt. Nach § 3 Abs. 6 RatSch-TV/IKK ist der Angestellte verpflichtet, einen ihm angebotenen Arbeitsplatz iSd. Abs. 2 bis 5, damit auch einen nicht gleichwertigen Arbeitsplatz, anzunehmen, wenn die Annahme dem Arbeitnehmer nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten billigerweise zugemutet werden kann.
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Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es nicht darauf an, daß der Angestellte mit dem ihm angebotenen Arbeitsplatz einverstanden ist, mit dem Arbeitgeber also die Annahme des Arbeitsplatzes vereinbart. Zu Unrecht weist das Berufungsgericht für seine Auffassung auf das bei Nichtannahme bestehende Kündigungsrecht des Arbeitgebers hin. Anders als das Berufungsgericht meint, wird dieser Weg nicht durch § 5 Abs. 2 RatSch-TV/IKK "freigemacht". Diese Bestimmung regelt, daß der Arbeitgeber "nur" kündigen darf, wenn kein Ersatzarbeitsplatz vorhanden ist oder ein solcher nicht angenommen wird. Die Norm bestimmt somit nur den Vorrang der Arbeitsplatzsicherung vor einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch betriebsbedingte Arbeitgeberkündigung. Aus ihr läßt sich jedoch nicht entnehmen, daß der Angestellte, wenn dieser einen ihm nach § 3 Abs. 3 RatSch-TV/IKK angebotenen Arbeitsplatz nicht annimmt und der Arbeitgeber von der Kündigung des Arbeitsverhältnisses absieht, einen Anspruch hat, zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt zu werden. Einen solchen Anspruch hat der Angestellte nur, wenn er nicht von einer Rationalisierungsmaßnahme iSd. § 1 RatSch-TV/IKK betroffen ist oder wenn ihm bei Bejahung einer Rationalisierungsmaßnahme ein gleichwertiger Ersatzarbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden kann (§ 3 Abs. 2 RatSch-TV/IKK). Beides ist im vorliegenden Fall streitig und daher vom Tatrichter aufzuklären. Liegt eine Rationalisierungsmaßnahme vor und steht kein gleichwertiger Arbeitsplatz zur Verfügung, muß der Kläger den ihm nach § 3 Abs. 3 RatSch-TV/IKK angebotenen Arbeitsplatz unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 6 RatSch-TV/IKK annehmen, was eine Verurteilung im Sinne des Klageantrags ausschließen würde.
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III. Das Berufungsgericht wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben.
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Dr. Peifer Dr. Armbrüster Gräfl
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Kapitza Schneider

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