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Störungen durch Baumwurzeln vom Nachbargrundstück
BGH,
Az.:V ZR 26/88
Urteil vom 2. Dezember 1988
Vorinstanzen: OLG Hamburg - LG Hamburg
Leitsätze:
BGB § 1004; HambAbwasserG v. 21. Februar 1984, GVBl S. 45, 15
Unterhält eine Gemeinde auf ihrem Grundstück von ihr gepflanzte Bäume, deren Wurzeln in die Abwasserleitung eines Nachbargrundstücks eindringen, so ist sie hinsichtlich der dadurch hervorgerufenen Beeinträchtigung des Eigentums des Nachbarn Störer.
Die Darlegungs- und Beweislast für die Pflicht zur Duldung der Beeinträchtigung trifft den Störer. Das gilt auch im Anwendungsbereich des Hamburger Abwassergesetzes.
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember 1988 für Recht erkannt:
I. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 18. Dezember 1987 aufgehoben.
II. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 3, vom 12. Juni 1987 abgeändert:
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
III. Wegen der Höhe des Anspruchs wird die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen wird.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks W-Allee in Hamburg. Das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück ist auf der einen Seite von der W-Allee, auf der anderen Seite von einer öffentlichen Parkanlage begrenzt. Die Abwasserleitung des Hauses, die entsprechend dem üblichen Verfahren zur Zeit der Errichtung ausglasierten Steinzeugrohren erstellt war, verläuft unterhalb der Garageneinfahrt zu dem in der Straße liegenden Schmutzwassersiel. In der Nähe der Garagenauffahrt stehen auf städtischem Grund zweigrößere Bäume, eine Kastanie und eine Buche.
Seit November 1984 kam es in der Grundstücksentwässerungsanlage, und zwar in der Sielleitung unterhalb der Garagenauffahrt mehrfach zu Verstopfungen. Bei einer Untersuchung mittels Kanalfernauge wurde festgestellt, daß Verstopfungsursache in die Rohre eingedrungene Baumwurzeln waren. Zur Behebung der Verstopfung ließ der Kläger unterhalb' der Garagenauffahrt die bisherige Leitung freilegen und herausnehmen und durch.. ein PVC-Rohr ersetzen. An der Anschlußstelle der neuen zu, der unterhalb der Garage befindlichen alten Leitung wurde bei dieser Gelegenheit ein Revisionsschacht eingesetzt. Für die Tiefbauarbeiten wurden dem Kläger 4.560 DM und für das Material des Revisionsschachtes 501,88 DM (insgesamt 5.061,88 DM) in Rechnung gestellt. Der Kläger verlangt von der Beklagten Erstattung dieser Kosten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben.
Mit der vom Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Zahlungsanspruch weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht hat - hier allein in Frage stehende verschuldensunabhängige - Erstattungsansprüche des Klägers aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung verneint, weil die Beklagte nicht gemäß
verpflichtet gewesen sei, die in der Sielleitung aufgetretenen Störungen zu beseitigen. Es hat offengelassen, ob die in der Abwasserleitung vorhandenen Baumwurzeln vor oder nach dem am 1. März 1984 in Kraft getretenen Hamburger Abwassergesetz vom 21. Februar 1984 (HAbwG, GVBl S. 45) eingedrungen waren. Es hat in diesem Zusammenhang für den zeitlichen Geltungsbereich des Abwassergesetzes ausgeführt, die in § 15 Abs. 1 HAbwG enthaltene Bestimmung, wonach Grundstücksentwässerungsanlagen von dem Eigentümer in einem ordnungsgemäßen Zustand und insbesondere dicht gegen das Eindringen von Baumwurzeln zu halten seien, regele zwar auch das zivilrechtliche Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn dahin, daß die Verantwortlichkeit für das Eindringen von Baumwurzeln dem Eigentümer auferlegt sei. Die Vorschrift könne aber nur den Normalfall regeln wollen, dass Wurzeln nur deshalb in die Abwasserleitung wachsen, weil diese undicht sei und die austretende Feuchtigkeit die Baumwurzeln anziehe. Dem Eigentümer der Leitung werde dagegen die Verantwortlichkeit nicht auferlegt, wenn sich feststellen lasse, daß das Eindringen der Wurzeln auf eine vorangegangene Beschädigung der Leitung durch einen von außen wirkenden mechanischen Druck der Baumwurzeln des Nachbarn zurückzuführen sei. Der Kläger habe aber eine solche Störung nicht nachzuweisen vermocht. Es sei daher davon auszugehen, daß die Baumwurzeln nur deshalb in die Leitung des Klägers eingedrungen seien, weil diese aus einem anderen Grunde, für den eine Verantwortlichkeit der Beklagten nicht zu erkennen sei, bereits undicht gewesen sei. Der Kläger habe die durch den vorschriftswidrigen Zustand, seines Grundstücks hervorgerufene Lage im Verhältnis zur Beklagten daher zu dulden und für die Beseitigung der Störung selbst zu sorgen.
Für die Zeit vor Inkrafttreten des Abwassergesetzes entfalle aber auch ein Beseitigungsanspruch aus § . Nach § 7 (5) Satz 1 der Sielsatzung vom 20. März 1940 in der Fassung vom 13. Juni 1977 habe der Eigentümer seine Entwässerungsanlage stets in einem ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten. Diese Regelung habe zwar keinen nachbarrechtlichen Gehalt. Der öffentlich-rechtlichen Unterhaltspflicht komme aber dennoch für § Bedeutung zu. Konnten die Baumwurzeln der Sielleitung, solange diese intakt war, nicht gefährlich werden, so fehle es an einer Beeinträchtigung des Eigentums, die der Beklagten als "Störerin" zuzurechnen sei. Daß die Sielleitung aus Gründen, für die die Beklagte verantwortlich war, bereits undicht gewesen sei, habe der Kläger nicht nachzuweisen vermocht. Die Möglichkeit, daß der Nachbar seine Sielleitung nicht dicht halten und damit den Wurzelwuchs in deren Richtung leiten könnte, habe die Beklagte nicht in ihren verantwortlichen Willen zum Halten der Bäume einbeziehen müssen.
Die Revision hat Erfolg.
1. Zur Entscheidung über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung wegen der Befreiung der Beklagten von einer ihr gemäß §1 obliegenden Verpflichtung zur Beseitigung der Störung des Eigentums des Klägers sind gemäß § 13 GVG die ordentlichen Gerichte zuständig (vgl. BGHZ 97, 231, 233 f).
2. Stand dem Kläger gemäß § 1 ein Anspruch auf Beseitigung der durch die Bäumwurzeln hervorgerufenen Beeinträchtigung der Abwasserleitung gegen die Beklagte zu, so ist sie dadurch, daß der Kläger die zur Beseitigung der Störung erforderlichen Arbeiten hat durchführen lassen, von einer ihr obliegenden Verpflichtung befreit und dadurch auf "sonstige Weise" im Sinnen des § bereichert worden. Ein rechtlicher Grund dafür ist nicht gegeben. So besteht insbesondere nach dem festgestellten Parteivortrag kein Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger als Geschäftsführer ohne Auftrag (§§ 677 ff BGB) für die Beklagte gehandelt hätte.
3. Entscheidend ist daher ob der Kläger von der Beklagten nach § 1 die Beseitigung der Beeinträchtigung seines Eigentums hätte verlangen können und bejahendenfalls, was die Beklagte zur Erfüllung dieses Anspruchs hätte aufwenden müssen,
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Beklagte, unabhängig davon, ob die Baumwurzeln vor oder nach dem Inkrafttreten des Hamburger Abwassergesetzes in die Abflußleitungen eingedrungen sind, Störerin im Sinne des
. Sie unterhielt die auf ihrem Grundstück von ihr gepflanzten Bäume, deren Wurzeln in die Abwasserleitung des klägerischen Grundstückes eindrangen, sie verstopften und damit das Eigentum des Klägers beeinträchtigten (vgl. BGHZ 97, 231, 234 f). Ob das Eindringen der Baumwurzeln durch undichte Rohrverbindungen erst ermöglicht oder begünstigt worden ist, ob also weitere Ursachen zur Rohrverstopfung durch die Wurzeln beigetragen haben, schließt die Eigentumsstörung in Form der Beeinträchtigung des ungehinderten Abflusses des Abwassers in das öffentliche Sielnetz nicht aus. Der Abwasserfluß ist nämlich nicht durch undichte Stellen im Leitungssystem, sondern nur durch die in das Rohr eingedrungenen Wurzeln der Bäume blockiert worden. Die Begründung oder Ermöglichung des Eindringens der Wurzeln durch weitere Ursachen wäre nur im Rahmen einer Einwendung aus § von Bedeutung und könnte - falls eine solche Einwendung gegen einen Beseitigungsanspruch nach § oder gegen einen daraus hergeleiteten Bereicherungsanspruch möglich ist (vgl. BGHZ 97,231, 237) - allenfalls dazu führen, daß ein Erstattungsanspruch des Klägers um die seinem eigenen Verantwortungsbereich zuzurechnenden Aufwendungen zu kürzen wäre. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen des § die Beklagte treffen würde.
b) Ist damit aber von einer Beeinträchtigung des Eigentums des Klägers durch die Beklagte auszugehen, so bleibt zu klären, ob der Kläger zur Duldung der Beeinträchtigung verpflichtet war (§ 1).
aa) Soweit das Berufungsgericht ausgeführt hat, unter dem Geltungsbereich des den Vorbehalt des Art. 124 EGBGB ausfüllenden Hamburger Abwassergesetzes komme nach dessen § 15 (1) ein Beseitigungsanspruch nur in Betracht, wenn die Abwasserleitung bis zum Eindringen ordnungsgemäß dicht gewesen sei oder die Undichtigkeit gerade durch die Baumwurzeln verursacht worden sei, ansonsten bestehe eine Duldungspflicht, liegt eine das Revisionsgericht nach §§ 549, 562 ZPO bindende Auslegung von Hamburger Landesrecht vor, das nicht über einen OLG-Bezirk hinaus Geltung hat.
Da das Hamburger Abwassergesetz aber nicht die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Ausschluß des Anspruchs auf Beseitigung einer Eigentumsbeeinträchtigung regelt, bleibt es insoweit bei der Anwendung des Â. Danach trifft die Darlegungs- und Beweislast für die Pflicht zur Duldung der hier vorliegenden Eigentumsbeeinträchtigung durch die in die Leitung eingedrungenen Baumwurzeln die Beklagte als Störerin. Sie müßte also beweisen, daß die Abwasserleitung vor dem Eindringen der Wurzeln sich nicht in ordnungsgemäßem Zustand befand und undicht war. Da das Berufungsgericht aber dem Kläger über die Eigentumsbeeinträchtigung hinaus die Beweislast für den ordnungsgemäßen Zustand der Leitung auferlegt, beruht das Berufungsurteil insoweit auf einem Rechtsfehler.
bb) Für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Hamburger Abwassergesetzes ist der Senat ebenfalls gemäß §§ 549, 562 ZPO an die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der Hamburger Sielsatzung von 1940 i.d.F. von 1977 gebunden, diese Satzung habe keinen nachbarrechtlichen Gehalt im Sinne des Zivilrechts. Es bleibt also insoweit allein bei der Prüfung der Voraussetzungen des § . Hierzu ist aber bereits oben ausgeführt worden, daß die Verneinung der Störereigenschaft der Beklagten auf einem Rechtsfehler beruht. Soweit die dortigen Überlegungen des Berufungsgerichts im Rahmen des § 1 von Bedeutung sein könnten, beruhen sie auch hier auf der fehlerhaften Annahme, den Kläger treffe die Beweislast für den ordnungsgemäßen Zustand der Abwasserleitung vor dem Eindringen der Baumwurzeln.
c) Da nach den insoweit fehlerfreien Ausführungen des Berufungsgerichtes die Beweisaufnahme kein eindeutiges Ergebnis über den Zustand der Leitung vor dem Eindringen der Baumwurzeln erbracht hat Und auch ein Sachverständigengutachten mangels Kenntnis des Sachverständigen von dem Zustand der freigelegten und ausgewechselten Leitung keine Klärung bringen könnte, waren die Voraussetzungen des § für einen Beseitigungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte erfüllt. Soweit sich die Beklagte in der Revisionserwiderung auf eine Beweisvereitelung durch den Kläger beruft, ist den Feststellungen des Berufungsgerichts kein einschlägiger Sachverhalt zu entnehmen. Er wird auch in der Revisionserwiderung nicht aufgezeigt. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers ist den von ihm veranlaßten Baumaßnahmen ein Gespräch mit Vertretern der Beklagten vorausgegangen, in dem Übereinstimmung darüber bestand, daß eine Erneuerung der Sielleitung unumgänglich sei. Daß bei dieser oder bei anderen Gelegenheiten die Beklagte die Besichtigung oder die Vorlage der geschädigten Rohre verlangt und der Kläger diesem Ansinnen widersprochen hätte, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat vielmehr stets eine Ersatzpflicht im Hinblick auf eine vermeintliche Duldungspflicht des Klägers verneint. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben und der geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären. Zur Klärung der Höhe des Anspruchs ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Beklagte hat sowohl die Notwendigkeit der vom Kläger veranlaßten Maßnahmen als auch die Höhe der dafür erforderlichen Aufwendungen bestritten.