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Widmung einer Grundstückszufahrt als öffentlichen Weg
Oberlandesgericht Koblenz
Az: l U 1025/00
Verkündet am. 25.07.2001
Vorinstanz: Landgericht Koblenz – Az.: 16 O 384/99
In dem Rechtsstreit wegen Amtshaftungsanspruch hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2001 für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 16. Juni 2000 verkündete Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand :
Der Kläger begehrt von der Beklagten wegen Amtspflichtverletzung Schadensersatz in Höhe von 11.874,24 DM, die er zu Unrecht als Beiträge gezahlt habe.
Das Landgericht hat der Klage vollumfänglich stattgegeben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe die ihr obliegende Verpflichtung zum rechtmäßigen Verwaltungshandeln schuldhaft verletzt, da sie wegen der tatsächlich nicht gesicherten öffentlich-rechtlichen Zufahrt zu dem Grundstück des Klägers dieses zu Unrecht als beitragspflichtig im Sinne des § 7 Abs. l KAG angesehen habe; der Anspruch des Klägers sei auch nicht nach § ausgeschlossen, da der Kläger auf eine richtige Rechtsanwendung der Beklagten habe vertrauen dürfen und für ihn nicht erkennbar gewesen sei, dass die ergangenen Bescheide rechtswidrig seien, weshalb ihm nicht habe zugemutet werden können, gegen die Bescheide Widerspruch zu erheben bzw. den gegen den Bescheid vom 6. Dezember 1990 eingelegten Widerspruch aufrecht zu erhalten.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie geltend macht, es liege keine schuldhafte Amtspflichtverletzung vor, da die fehlende Widmung des zum Grundstück des Beklagten führenden Weges habe nachgeholt werden können und ihr aus eigener Kenntnis und eigenen Unterlagen nicht bekannt gewesen sei, ob die Widmung erfolgt sei; für sie habe hinsichtlich der Widmung des Weges auch keine konkrete Erkundigungspflicht bestanden, da sie auf die örtlichen Verhältnisse haben vertrauen dürfen. Jedenfalls sei ein Anspruch des Klägers gemäß § 839 Abs. ausgeschlossen, da er keine Rechtsmittel gegen die erlassenen Bescheide eingelegt bzw. den gegen den Bescheid vom 6. Dezember 1990 eingelegten Widerspruch zurückgenommen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst beigefügten Urkunden sowie auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Seite 2-6, Bl. 74-78 d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte gemäß § 839 Abs. l BGB i.V.m. Art. 34 GG in Höhe von 11.874,24 DM für begründet erachtet.
Mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (§ 543 Abs. l ZPO), hat das Landgericht eine schuldhafte Amtspflichtverletzung der Beklagten als gegeben erachtet. Auch das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Entgegen der Auffassung der Beklagten wäre die Ortsgemeinde G............ nicht verpflichtet gewesen, der Nutzung des zu dem Grundstück des Klägers führenden Weges als Erschließungsanlage zuzustimmen und den Weg deshalb für den öffentlichen Verkehr zu widmen, was Voraussetzung für die Beitragspflicht des klägerischen Grundstückes nach § 7 Abs.2 KAG ist. Denn eine Widmungspflicht besteht nur in den gesetzlich angeordneten Fällen oder dann, wenn von einem Dritten eine Straße gebaut und dem öffentlichen Verkehr übergeben worden ist, die sonst zur Befriedigung eines regelmäßigen Verkehrsbedürfnisses vom Träger der Straßenbaulast auf eigene Kosten hätte geschaffen werden müssen (vgl. Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6.Aufl., 1998, Kapitel 7, Rn.18.21, 18.24 und 18.25). Diese Voraussetzungen waren vorliegend jedoch nicht gegeben, zumal die Ortsgemeinde G............ gerade eine anderweitige Erschließung durch eine andere Straße vorgesehen hat. Ein Verschulden der Beklagten ist auch darin zu sehen, dass diese ohne konkrete Erkundigung allein aufgrund der örtlichen Verhältnisse das Grundstück des Klägers als erschlossen und damit als beitragspflichtig angesehen hat. Die Mitarbeiter einer Behörde sind verpflichtet, vor Erlass eines Beitragsbescheides das tatsächliche Vorliegen der die Beitragspflichtbehelfs nicht zumutbar ist oder/und ihm die unterlassene Rechtsbehelfseinlegung nicht vorwerfbar ist, weil die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes aus seiner Sicht überhaupt nicht erkennbar war oder sein Interesse an der Beseitigung des ihn belastenden Verwaltungsaktes endgültig entfallen war (vgl. BGHZ 113, 17/24). Im Rahmen der Prüfung des schuldhaften Unterlassens eines Rechtsmittels ist zudem unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auch auf die Verhältnisse des Verkehrskreises, dem der Verletzte angehört, mithin darauf abzustellen, welches Maß an Umsicht und Sorgfalt von Angehörigen dieses Kreises verlangt werden muss, wobei auch sein Bildungsstand und seine Geschäftsgewandtheit von Bedeutung sind (vgl. BGH VersR 1997, 238/239). Dabei besteht für den rechtsunkundigen Bürger auch keine generelle Pflicht, sich hinsichtlich der Einlegung von Rechtsmitteln rechtlich beraten zu lassen, vielmehr ist auch insoweit auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen (vgl. RGZ 166, 249/256). Vorliegend war dem Kläger die unterlassene Rechtsbehelfseinlegung hinsichtlich der Bescheide für 1986-1997 und die Rücknahme des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 6. Dezember 1990 nicht vorwerfbar, weil er die Fehlerhaftigkeit der Bescheide aus seiner Sicht nicht erkennen konnte und auf deren Rechtsmäßigkeit vertrauen durfte mit der Folge, dass er auch nicht gehalten war, Rechtsrat hinsichtlich der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Bescheide einzuholen. Denn der Bürger darf grundsätzlich von der Rechtmäßigkeit der Verwaltung ausgehen und demgemäß darauf vertrauen, dass die Behörden das ihnen Obliegende richtig und sachgemäß tun. Der Bürger braucht deshalb, solange er nicht hinreichenden Anlass zu Zweifeln hat, nicht anzunehmen, dass die Behörden falsch handeln (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. BGH BauR 1991, 69/72; BGHZ 113, 17/25). Für den Kläger lagen vorliegend keine Anhaltspunkte vor, an der Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide zu zweifeln, da er im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse von der Zulässigkeit einer Bebauung seines Grundstückes ausgehen durfte, da bereits zwei Nachbargrundstücke bebaut waren. Damit stellte sich für den Kläger die Situation seines Grundstückes ebenso dar wie das der schon bebauten Grundstücke. Dem Kläger kann auch nicht vorgeworfen werden, dass er den Widerspruch gegen den Beitragsbescheid vom 6. Dezember 1990 nach dem Schreiben auslösenden Voraussetzungen zu überprüfen. Diese Pflicht besteht auch dann, wenn sie nicht über eigene Kenntnisse und eigene Unterlagen hierzu verfügen, da sie aufgrund ihrer Verpflichtung zum rechtmäßigen Verwaltungshandeln gehalten sind, sich die notwendigen Kenntnisse und Unterlagen vor Erlass von Beitragsbescheiden zu beschaffen. Die Beklagte durfte sich nicht lediglich auf den optischen Eindruck einer zulässigen Bebaubarkeit des klägerischen Grundstücks verlassen, da dieser optische Eindruck auch auf einer rechtlich unzulässigen Bebauung der Nachbargrundstücke, zum Beispiel wegen fehlender Baugenehmigung oder rechtswidrig erteilter Baugenehmigung, beruhen kann. Insoweit ist der vorliegende Fall auch nicht mit den örtlichen Verhältnissen in einem Neubaugebiet vergleichbar, da dessen Bebaubarkeit gerade durch einen vorher aufgestellten Bebauungsplan festgelegt wurde und daher die Bebaubarkeit der Grundstücke positiv festgestellt ist, selbst wenn die zur Erschließung erforderliche Straße erst zu einem späteren Zeitpunkt gewidmet wird.
Durch die rechtswidrigen Beitragsbescheide ist dem Kläger auch kausal der geltend gemachte Schaden entstanden, für den er keine anderweitige Ersatzmöglichkeit (§ 839 Abs. l S.) hat.
Der Anspruch des Klägers ist auch nicht nach § 839 Abs. ausgeschlossen. Denn der Kläger hat es nicht schuldhaft unterlassen, Rechtsmittel gegen die Beitragsbescheide für die Jahre 1986-1997 einzulegen und nicht schuldhaft den gegen den Beitragsbescheid vom 6. Dezember 1990 eingelegten Widerspruch zurückgenommen.
Eine Pflicht des Burgers, gegen ihn belastende Verwaltungsakte Rechtsmittel einzulegen, ergibt sich nicht schon aus dem Umstand, dass den Bescheiden jeweils eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war. Denn von dem Grundsatz, dass regelmäßig § 839 Abs. zum Ausschluss des Schadensersatzanspruchs führt, wenn der betroffene Bürger den Verwaltungsakt trotz Rechtsmittelbelehrung bestandskräftig werden läßt (vgl. BGHZ 113, 17/23/24; Urteil des Senats vom 28. September 1999 - l U 1585/97), läßt der Bundesgerichtshof dann Ausnahmen zu, wenn dem Betroffenen die Einlegung eines Rechtsbehelfs nicht zumutbar ist oder/und ihm die unterlassene Rechtsbehelfseinlegung nicht vorwerfbar ist, weil die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes aus seiner Sicht überhaupt nicht erkennbar war oder sein Interesse an der Beseitigung des ihn belastenden Verwaltungsaktes endgültig entfallen war (vgl. BGHZ 113, 17/24). Im Rahmen der Prüfung des schuldhaften Unterlassens eines Rechtsmittels ist zudem unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auch auf die Verhältnisse des Verkehrskreises, dem der Verletzte angehört, mithin darauf abzustellen, welches Maß an Umsicht und Sorgfalt von Angehörigen dieses Kreises verlangt werden muss, wobei auch sein Bildungsstand und seine Geschäftsgewandtheit von Bedeutung sind (vgl. BGH VersR 1997, 238/239). Dabei besteht für den rechtsunkundigen Bürger auch keine generelle Pflicht, sich hinsichtlich der Einlegung von Rechtsmitteln rechtlich beraten zu lassen, vielmehr ist auch insoweit auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen (vgl. RGZ 166, 249/256). Vorliegend war dem Kläger die unterlassene Rechtsbehelfseinlegung hinsichtlich der Bescheide für 1986-1997 und die Rücknahme des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 6. Dezember 1990 nicht vorwerfbar, weil er die Fehlerhaftigkeit der Bescheide aus seiner Sicht nicht erkennen konnte und auf deren Rechtsmäßigkeit vertrauen durfte mit der Folge, dass er auch nicht gehalten war, Rechtsrat hinsichtlich der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Bescheide einzuholen. Denn der Bürger darf grundsätzlich von der Rechtmäßigkeit der Verwaltung ausgehen und demgemäß darauf vertrauen, dass die Behörden das ihnen Obliegende richtig und sachgemäß tun. Der Bürger braucht deshalb, solange er nicht hinreichenden Anlass zu Zweifeln hat, nicht anzunehmen, dass die Behörden falsch handeln (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. BGH BauR 1991, 69/72; BGHZ 113, 17/25). Für den Kläger lagen vorliegend keine Anhaltspunkte vor, an der Rechtmäßigkeit der Beitragsbescheide zu zweifeln, da er im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse von der Zulässigkeit einer Bebauung seines Grundstückes ausgehen durfte, da bereits zwei Nachbargrundstücke bebaut waren. Damit stellte sich für den Kläger die Situation seines Grundstückes ebenso dar wie das der schon bebauten Grundstücke. Dem Kläger kann auch nicht vorgeworfen werden, dass er den Widerspruch gegen den Beitragsbescheid vom 6. Dezember 1990 nach dem Schreiben der Beklagten vom 21. Juni 1994 zurückgenommen hat. Denn im Hinblick darauf, dass eine Haftung der öffentlichen Hand nur unter der Voraussetzung des Verschuldens des Amtsträgers begründet ist, ist kein übergeordnetes öffentliches Interesse daran erkennbar, den schadensrechtlichen Ausgleich für eine schuldhafte amtspflichtwidrige Gebührenerhebung zu versagen, das Risiko, dass die der Gebührenerhebung zugrundeliegenden Rechtsnormen nicht oder unrichtig angewandt worden sind, in vollem Umfang dem Bürger aufzubürden und so die Beklagte von dem durch das Gesetz vorgesehenen haftungsrechtlichen Folgen ihrer Amtspflichtverletzung zu entlasten; dies gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich waren, dass die Beklagte von sich aus gewillt war, ihr Ermessen dahin auszuüben, den rechtswidrigen Verwaltungsakt durch Rücknahme zu beseitigen (vgl. BGHZ 113, 17/24), Denn nachdem der Kläger gegen den Bescheid vom 6. Dezember 1990 bereits am 16. Januar 1991 Widerspruch eingelegt hatte und ihm sodann erst mit Schreiben vom 21. Juni 1994 von der Beklagten mitgeteilt wurde, dass nach Prüfung dem Widerspruch nicht abgeholfen werden könne und im Hinblick auf die kürzlich erfolgte Satzungsänderung keine Fehler erkennbar seien, die die Rechtsmäßigkeit des Bescheides in Frage stellen könnten, durfte der Kläger auf diese Erklärung der Beklagten vertrauen (und deshalb auch die Einholung von Rechtsrat unterlassen), da die Annahme einer unrichtigen Belehrung nicht dringlich nahegelegen hatte (vgl. BGH WM 1963, 841). Denn neben seinem Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des Bescheides wegen der örtlichen Verhältnisse kommt hinzu, dass der Kläger aufgrund des langen Zeitraums von drei Jahren seit der Einlegung seines Widerspruchs und dem Inhalt des Schreibens der Beklagten vom 21. Juni 1994 davon ausgehen durfte, dass diese den Bescheid vom 6. Dezember 1990 inhaltlich vollständig geprüft, zunächst für begründet erachtet und erst aufgrund der sodann erfolgten Satzungsänderung nicht mehr für begründet gehalten hat. Die Unrichtigkeit dieser Mitteilung sowie die Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 6. Dezember 1990 lag daher für den Kläger ebensowenig nahe wie die Rechtswidrigkeit der übrigen Beitragsbescheide.
Nach alledem hat das Landgericht die Beklagte zu Recht zur Zahlung von 11.874,24 DM nebst 4 % Zinsen per anno seit dem 28. Mai 1999 verurteilt; die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist daher unbegründet und zurückzuweisen.
Da der vorliegende Rechtsstreit weder grundsätzliche Bedeutung hat noch sich diese Entscheidung in Abweichung zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes begibt, ist die Revision nicht zuzulassen (§ 546 ZPO; vgl. Anregung des Beklagtenvertreters im Termin vom 4. Juli 2001, Bl. 160 d.A.).
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 97 Abs.l ZPO. Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.
Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 11.874,24 DM festgesetzt; in dieser Höhe ist die Beklagte durch dieses Urteil beschwert.