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OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

Az.: 7 U 3-92/00

Verkündet am 16. Mai 2001

Vorinstanz: LG Trier – Az.: 11 O 143/99

GRUNDURTEIL in dem Rechtsstreit wegen Gewährleistungsansprüchen aus Werkvertrag.

Der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. März 2001

für R e c h t erkannt:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des Landgerichts Trier vom 8. Februar 2000 abgeändert wie folgt: Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

II. Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung über die Höhe des Anspruchs sowie die Kosten der Berufung an das Landgericht zurückverwiesen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird zugelassen.

T a t b e s t a n d

Die Klägerin ist gemeinsam mit ihrem getrennt lebenden Ehemann, dem Zeugen S, Eigentümerin eines Hausgrundstücks in I .... Im November 1983 beauftragten die Klägerin und ihr Ehemann den Beklagten, der eine Malerwerkstatt betrieb, an ihrem Haus eine Vollwärmeisolierung nach dem System "Disbotherm 600" anzubringen. 1998 zeigten sich an dem Wärmeverbundsystem schwerwiegende Mängel. Es sind Risse bis zu 6,4 mm an sämtlichen Wänden vorhanden. An einer Giebelseite sind zwischen Oberputz und Unterschale große Hohlstellen entstanden. An der Gebäuderückseite ist der Putz großflächig hohl und teilweise bereits abgeplatzt. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Isstas ist zur Beseitigung der Mängel eine Erneuerung des Wärmeverbundsystems notwendig.

Die Schäden an dem Wärmeverbundsystem sind nach den Feststellungen des Sachverständigen Isstas darauf zurückzuführen, dass der Beklagte für die Armierung in den Unterputz (zwischen Polystyrolplatten und dem Oberputz) kein Gittergewebe eingebaut hat; es wurde stattdessen ein damals (1983) neuartiger Faserspachtel (sog. "flüssiges Netz" ;) verwendet, der sich inzwischen als ungeeignet herausgestellt hat, weil er die auftretenden Zugspannungen nicht aufnehmen kann. Nach den Darlegungen des Sachverständigen wären die Schäden an der Vollwärmeisolierung nicht eingetreten, wenn das erprobte Gitternetz als Armierung eingebaut worden wäre.

Der Sachverständige I hat die Kosten der Neuherstellung der Wärmeverbundfassade auf 29.116 DM geschätzt. 80 % hiervon macht die Klägerin mit dem vorliegenden Verfahren geltend. Der Ehemann der Klägerin hat ihm zustehende Gewährleistungs- und Schadensersatzansprüche aus dem Vertrag mit dem Beklagten an die Klägerin abgetreten.

Die Klägerin hat geltend gemacht, der Beklagte habe arglistig gehandelt, als er anstelle des erprobten Gittergewebes eigenmächtig einen neuartigen Faserspachtel für die Armierung verwendet habe.

Der Beklagte erhebt gegenüber den geltend gemachten Ansprüchen die Einrede der Verjährung. Er hat vorgetragen, die Verwendung des neuartigen Faserspachtels sei als "flüssiges Netz" gegenüber dem Gitternetz 1983 als die bessere Baumethode angesehen worden. Bereits deshalb scheide ein arglistiges verhalten seinerseits aus. Im Übrigen sei der Vertreter der Herstellerfirma des Faserspachtels damals an der Baustelle erschienen und habe die Klägerin und ihren Ehemann über den neuen Baustoff eingehend informiert. Beide seien anschließend mit dessen Verwendung einverstanden gewesen.

Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Da der Beklagte bei der Herstellung der Vollwärmeisolierung davon ausgegangen sei, dass der verwendete Faserspachtel für die Armierung besser geeignet sei als das Gitternetz, sei ein arglistiges verhalten nicht gegeben.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie ist der Ansicht, ein Bauunternehmer handele immer arglistig, wenn er einen anderen als den vertraglich vereinbarten Baustoff verwende bzw. eine andere als die vertraglich vereinbarte Verfahrenstechnik anwende.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend, macht darüber hinaus geltend, er habe jedenfalls deshalb nicht arglistig gehandelt, weil der Faserspachtel auf ausdrücklichen Wunsch der Klägerin und ihres Ehemannes als Armierung verwendet worden sei.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Berufung der Klägerin ist begründet. Der geltend gemachte Anspruch ist entgegen der Auffassung des Landgerichts dem Grunde nach gerechtfertigt.

Der Ehemann der Klägerin hat seine sämtlichen Ansprüche aus dem Bauvertrag mit dem Beklagten an die Klägerin abgetreten. Die Klägerin ist daher für die geltend gemachte Forderung aktivlegitimiert.

Der Klägerin steht gemäß § 635 BGB ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu. Unstreitig ist die von dem Beklagten am Haus der Klägerin und ihres Ehemanns angebrachte Vollwärmeisolierung mit erheblichen Mängeln behaftet. Dem Beklagten ist mit Schriftsatz des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 8. Januar 1999 eine angemessene Frist zur Mangelbeseitigung gesetzt worden. Er hat eine Mangelbeseitigung abgelehnt und der Klägerin lediglich ein Kulanzangebot unterbreitet, gegen Zahlung von 7.820 DM nachträglich ein Gitternetz sowie einen neuen Putz anzubringen.

Der Beklagte hat den Mangel auch zu vertreten. Er hat für die Vollwärmeisolierung als Armierung anstelle der ursprünglich vereinbarten Gittergewebematten ein "flüssiges Netz" aus Faserspachtel verwendet. Dieser Faserwerkstoff war damals nicht erprobt. Zwar war dieses Produkt gegenüber den Gittergewebematten als gleichwertig angesehen worden. Inzwischen hat sich jedoch der Baustoff für die Armierung von Vollwärmeisolierung als ungeeignet herausgestellt. Die jetzt an der Vollwärmeisolierung vorhandenen Mängel wären, wie der Sachverständige dargelegt hat, nicht entstanden, wenn der Beklagte für die Armierung die bewährten Gittergewebematten verwendet hätte. Der Beklagte hat somit anstelle eines gebräuchlichen und bewährten Baustoffs (Gittergewebematten) einen neuartigen nicht erprobten Baustoff (Faserspachtel) für die Armierung verwendet. Hierin liegt ein Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik, der auch ohne Schadenseintritt einen Mangel darstellt (dies gilt für den VOB(B)-Vertrag und für den Bauvertrag nach 55 631 ff. BGB; vgl.,Ingenstau/Korbion-Oppler, VOB(B), 14. Aufl., § 4 Rn. 141 sowie Ingenstau/Korbion-Werth, 13 Rn. 136; Münchener Kommentar-Soergel, 3. Aufl., § 633 Rn. 34 und Ganten in Ganten/Jagenburg/Motzke, VOB(B), 5 4 Rn. 27).

Mit der Verwendung neuer Baustoffe ist grundsätzlich ein Risiko verbunden, weil ihre Bewährung in der Praxis noch aussteht. Obwohl die Technik lückenlos in Kausalgesetze eingebettet ist, lässt sich nicht alles berechnen. Daher sind neue Baustoffe gegenüber bewährten nicht gleichwertig., Ihre Verwendung ist, soweit ausdrückliche Vereinbarungen fehlen, vertragswidrig und daher fehlerhaft. Das mit der Anwendung von neuen Baustoffen und -methoden verbundene Risiko darf auf den Bauherrn nur mit dessen Einverständnis abgewälzt werden. Nur wenn -ausnahmsweise tatsächlich nachweisbar - mit der Anwendung neuer Bautechniken kein Risiko verbunden ist, sind trotz des Verstoßes gegen die anerkannten Regeln der Technik Gewährleistungsansprüche nicht legitimiert (so zutr. Ganten a.a.O., S 13 Rn. 97). Diese besondere Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.

Die Behauptung des Beklagten, die Verwendung des "flüssigen Gitternetzes" sei im Einverständnis der Klägerin und ihres Ehemannes nach einem Gespräch mit dem Zeugen G erfolgt, der das Material für die Firma S... vertreten hat, hat die Beweisaufnahme nicht bestätigt. Der Zeuge G hat bekundet, er habe nur mit dem Beklagten ein ausführliches Gespräch über den neuartigen Faserspachtel geführt, um ihn als Kunden zu gewinnen. Mit der Klägerin und ihrem Ehemann habe er nicht gesprochen. Diese Angaben wurden von den Zeugen St..... und S bestätigt. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist der Senat der Überzeugung, dass der Beklagte den neuartigen Baustoff als Armierung für die Vollisolierung am Haus der Klägerin und ihres Ehemannes verarbeitet hat, ohne hierüber die Bauherren zu unterrichten. Hieraus ergibt sich die Pflichtverletzung und Einstandspflicht des Beklagten. Dies hat er zu vertreten, weil er für die unterbliebene Aufklärung der Bauherren über die Verwendung des neuen Baustoffs verantwortlich ist (vgl. Ganten, a.a.O., 5 13 Rn. 144).

Damit sind die Voraussetzungen für den geltend gemachten Schadensersatzanspruch dem Grunde nach erfüllt. Dieser Anspruch ist auch noch durchsetzbar. Ohne Erfolg erhebt der Beklagte die Einrede der Verjährung. Zwar war nach der 1984 erfolgten Abnahme die fünfjährige Verjährungsfrist gemäß § 638 Abs. 1 S. 1 BGB längst abgelaufen, bevor die Klägerin die Mängel an der Vollwärmeisolierung erstmals mit Anwaltsschreiben vom 8. Januar 1999 rügte. Jedoch ist die kurze Verjährungsfrist gemäß § 638 Abs. 1 S. 1 BGB im Streitfall nicht anzuwenden, weil der Beklagte die abredewidrige Verwendung des neuen Baustoffs arglistig verschwiegen hat. Es gilt daher die 30-jährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB.

Unter welchen Voraussetzungen bei einem Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik durch Verwendung neuer noch nicht erprobter Baustoffe und -methoden ein arglistiges Verhalten des Bauunternehmers vorliegt, ist umstritten. Teilweise wird eine Arglist des Unternehmers nur angenommen, wenn er anstelle des vertraglich festgelegten bewusst ein billigeres und in der Qualität schlechteres Baumaterial verwendet (OLG Köln BauR 1991, 468; Wiesner MDR 1999, 455, 45 8) . Zum Teil wird Arglist bei eigenmächtiger vorsätzlicher und verschwiegener Verwendung branchenunüblicher Baustoffe oder baulicher Verfahrenstechniken bejaht, wenn hierdurch erhebliche Baurisiken geschaffen werden (BGH Urt. v. 20.12.1976, VII ZR 105/74, zitiert bei Schmidt MDR 1977, 715, 717) oder wenn ein Unternehmer die Mangelfreiheit eines in der Praxis noch nicht erprobten Baustoffs "ins Blaue hinein" versichert, ohne die dafür notwendigen Fachkenntnisse zu besitzen (OLG München NJW 1988, 3271; Gassner BauR 1990, 312, 314). Nach Ansicht des Senats handelt ein Unternehmer grundsätzlich arglistig, wenn er einen neuen, in.der Praxis noch nicht erprobten Baustoff verwendet, ohne den Bauherren hierüber und über das mit der Anwendung neuer Baustoffe und -methoden verbundene Risiko zu unterrichten. Eine Bauleistung ist, wie bereits dargelegt, mangelhaft, wenn ohne Kenntnis des Bauherren neue Baustoffe zur Anwendung gelangen, es sei denn, es ist ausnahmsweise tatsächlich nachweisbar, dass mit der Anwendung einer neuen Bautechnik kein Risiko verbunden ist. Nach ständiger Rechtsprechung liegt ein arglistiges Verschweigen eines Mangels vor, wenn der Unternehmer sich bewusst ist, dass ein bestimmter, dem Bauherren unbekannter Umstand, für dessen Entschließung von Erheblichkeit ist, er nach Treu und Glauben diesen Umstand mitzuteilen verpflichtet ist, und ihn dennoch nicht offenbart (BGH NJW 1974, 553; BGH NJW 1986, 980; BGH NJW 1992, 1794; OLG Hamm OLGR 1998, 386). Eine derartige Offenbarungspflicht besteht bei der Verwendung neuer Baustoffe und -methoden grundsätzlich. Da die Nutzungsdauer von Bauwerken sehr hoch ist, muss jeder verarbeitete Baustoff eine ausreichende technische Nutzungsdauer aufweisen und somit langfristig den Beanspruchungen widerstehen. Da sich bei neuen Baustoffen ihre Eignung auf Dauer grundsätzlich nicht mit der erforderlichen Sicherheit vorhersagen läßt, ist ihre Verwendung ein vertragswichtiger Umstand, über den der Unternehmer den Bauherrn unterrichten muss. Wegen des aufgezeigten generellen Risikos, das mit neuen Baustoffen verbunden ist, kommt es für die Unterrichtungspflicht weder darauf an, ob mit ih rer Verwendung eine Kosteneinsparung oder Qualitätseinbuße verbunden ist, noch ob konkrete Baurisiken geschaffen werden. Ebenfalls unerheblich sind die Fachkenntnisse des Unternehmers, weil es hier um technisch zunächst nicht erkennbare Mangelrisiken geht, die sich erst in der langjährigen Praxis zeigen können. Lediglich wenn nachweisbar mit einer neuen Bautechnik kein Risiko verbunden ist - was hier nicht der Fall war -, entfällt eine Offenbarungspflicht.

Der Beklagte handelte somit arglistig, indem er ohne die Klägerin und ihren Ehemann hierüber zu unterrichten anstelle des vereinbarten Gitternetzes den neuen Faserspachtel zur Armierung der Vollwärmeisolierung verwendete. Dass der Beklagte den Faserspachtel für geeignet hielt und mit der Verwendung kein oder nur geringe Einsparungen verbunden waren, lässt die Arglist nicht entfallen. Arglistiges Verschweigen erfordert nämlich keine Schädigungsabsicht und keinen eigenen Vorteil (BGH NJW 1986, 980).

Die somit dem Grunde nach gerechtfertigte Klageforderung ist ihrer Höhe nach nicht entscheidungsreif. Eine Vollwärmeisolierung hat eine lange Lebensdauer. Die von dem Beklagten 1984 hergestellte Isolierung hielt lediglich etwa 14 Jahre. Diese Vorteile sind jedoch bei. der Schadensberechnung zu berücksichtigen. Das Landgericht wird dies zu prüfen haben.

Der Senat hat daher vorab über den Grund des Anspruchs entschieden. Im Übrigen ist die Sache gemäß § 538 Abs. 1 Nr. 3 ZPO an das Gericht des ersten Rechtszugs zurückzuverweisen.

Der Streitwert sowie die Beschwer der Parteien beträgt 23.293 DM.

Der Senat lässt die Revision gemäß § 546 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu, weil höchstrichterlich noch nicht geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen bei einem Verstoß gegen die anerkannten Regeln der Technik ein arglistiges Verhalten des Unternehmers zu bejahen ist.
Stichwörter: verwendung + baustoffen + erprobten

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